Gebäude als Wertstofflager

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In Deutschland herrscht nach wie vor Bau-Boom. Doch Engpässe bei Baumaterialien wie Sand, Holz oder Kies lassen die Preise steigen und könnten den Aufschwung abwürgen. Dabei gibt es eine Rohstoffquelle, die viel zu selten genutzt wird: Altmaterial, das beim Abbruch von Gebäuden anfällt.

Die mineralischen Baustoffe können geschreddert und im Anschluss als Zuschlagstoffe für Beton verwendet werden. Das Ganze nennt sich Urban Mining und zielt auf eine Kreislaufwirtschaft (Cradle to Cradle) ab, bei der jede genutzte Ressource zurück in den Stoffkreislauf gelangt, indem sie entweder wiederverwendet oder biologisch abgebaut werden kann. Das schont Ressourcen und reduziert das Müllaufkommen. Denn rund 250 Millionen Tonnen mineralische Abfälle fallen jährlich in Deutschland an und machen einen Anteil von 60 Prozent des gesamten Müllaufkommens aus. Dabei gelangen die Mülldeponien langsam an ihre Kapazitätsgrenzen, mit der Folge, dass Bauschutt quer durch die Republik und teilweise ins Ausland gefahren wird. Das ist teuer und erhöht zudem den CO2-Ausstoß.

Dass Urban Mining in der Bauwirtschaft trotzdem kaum verbreitet ist, liegt daran, dass es nur selten einen Überblick über die verbauten Materialien in einem Gebäude gibt. Solch eine Inventarliste würde den Rückbau jedoch erheblich erleichtern, da die aus dem Abriss gewonnen Rohstoffe für einen etwaigen Neubau an gleicher Stelle verplant werden könnten. Ein weiterer Hemmschuh für das Urban Mining ist die längere Abbruchzeit. Anstellen mit der Abrissbirne ein Gebäude in relativ kurzer Zeit dem Erdboden gleich zu machen, muss zur Gewinnung der vorhandenen Rohstoffe mit kleinerem Gerät, zum Teil sogar händisch vorgegangen werden, um ähnlich wie beim Recyceln von Hausmüll die verschiedenen Stoffe aufwändig voneinander zu trennen. Der Mehraufwand an Planung und Zeit kann jedoch über den Verkauf der gewonnenen Rohstoffe nahezu kostenneutral kompensiert werden.

Um die Nachhaltigkeit von Rückbauprozessen, die vor Neubau- oder Sanierungsmaßnahmen stattfinden, zu erhöhen, hat die die Deutsche Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen (DGNB) 2020 ein neues Zertifizierungssystem eingeführt. Das neue Zertifikat zielt dabei nicht nur darauf ab, Abfälle sortenrein zu trennen oder Materialien wiederzuverwerten. Auch Aspekte wie „Risikobewertung und Kostensicherheit“, „Projektkommunikation“ und „Rückbauplanung“ fließen in das zwölf Kriterien umfassende Zertifikat mit ein. Als besonders wichtig erachten die Experten vom DGNB, das Knowhow von Abbruchunternehmen während des Planungsprozess von Neubauten zu berücksichtigen, um so von vornherein recyclingfähige Gebäude zu konzipieren.

Wie nachhaltiger Rückbau aussehen kann, zeigt ein Leuchtturmprojekt aus Frankfurt am Main: das FOUR. Mitten im Stadtzentrum auf dem ehemaligen Areal der Deutschen Bank entstehen vier Hochhäuser mit Raum für Wohnungen, Büros, Hotels, eine Kita, Nahversorgung und Gastronomie. Vorher mussten jedoch die Bestandsgebäude sukzessive zurückgebaut werden. Eine erste Sichtschätzung wurde durchgeführt, um beurteilen zu können, was von der Gebäudesubstanz wiederverwertet werden kann. Mit hohem Aufwand wurde außerdem der Materialstrom dokumentiert. Ergebnis: Von den knapp 160.000 Tonnen angefallenen Rückbaumaterials waren knapp 150.000 Tonnen mineralische Baustoffe wie Beton oder Ziegel. Davon konnten mehr als 99 Prozent aufbereitet oder verwertet werden.

Angesichts der Dringlichkeit der Thematik bleibt auch der Gesetzgeber an dieser Stelle nicht untätig. Ende Juni 2021 hat der Bundesrat eine Mantelverordnung verabschiedet, die einheitliche Standards für den Einsatz von mineralischen Ersatzbaustoffen vorsieht. Ziel der voraussichtlich erst in zwei Jahren in Kraft tretenden Verordnung sind bundesweit verbindliche Vorgaben, die darauf abzielen, das Recycling von Bauabfällen zu verbessern, Primärbaustoffe zu sparen und natürliche Ressourcen zu schonen.

Zu guter Letzt gilt es auch Folgendes zu bedenken: Ist Abriss und Neubau immer die einzige Option oder kann auch eine Sanierung in Frage kommen? In einem Gebäude sind nicht nur wertvolle Ressourcen verbaut, sondern auch Energie und CO2 gespeichert, die während des Bauprozesses für die Gewinnung von Rohstoffen, den Transport von Baumaterialien, Menschen und Maschinen und die Lagerung aufgewendet wurden. Das heißt: Ein großer Beitrag zum Klimaschutz und der Schonung von Ressourcen wäre es, verstärkt in die Sanierung von Bestandsgebäuden zu investieren, anstatt in Abriss und Neubau.

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Frauen sind in der Baubranche leider immer noch eine Seltenheit.

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